Ein Mann steht am Strand und schaut auf die Wellen. In ein paar Jahren wird er den Nobelpreis für Chemie bekommen, aber das weiß er hier an diesem Tag im Frühling 1975 natürlich noch nicht. In diesem Moment am Meer hat der Mann, der Paul Berg heißt, ein Problem, das genau genommen nicht nur sein Problem ist, sondern auch das der 150 Wissenschaftler aus aller Welt, die sich hinter ihm in einem Kongresshotel versammelt haben – und das vielleicht auch zu einem ernsten Problem für die Menschheit werden könnte.Eine tödliche GefahrIn diesem idyllischen Badeort bei Monterey, mit Blick über den Sunset Drive aufs offene Meer, wo man Seelöwen sehen kann, unter dem Blinken des Leuchtturms von Point Pinos, dessen Lichtstrahl sich durch den silbrigen Dunst über der Bucht kämpft, hinter Pinien, die sich unter dem Pazifikwind wegzuducken scheinen, in einem Hotel mit Holzschindelfassade und Natursteinkaminen, die aussehen, als könnte hier eine unbekannte Spezies von Höhlenmenschen leben: An diesem sandigen, verlorenen kleinen Ort am Nordpazifik wird nicht weniger als die Zukunft des Menschen besprochen – und die Gefahr seiner Auslöschung. Wobei die Menschen in diesem Frühjahr des Jahres 1975 gar nicht wissen, in welcher Gefahr sie sich befinden. Es wird viel gesprochen über die Gefahr eines Atomkriegs – aber eine andere Gefahr könnte viel tödlicher sein, und niemand weiß das besser als Paul Berg.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Er ist Biochemiker und Molekularbiologe, und 1972 war ihm etwas gelungen, das genauso bedeutend war wie die Kernspaltung: Er hatte die DNA einer Spezies erfolgreich in das genetische Material einer anderen eingefügt. Berg hatte eines der leistungsfähigsten Werkzeuge der Menschheit erfunden, aber er hatte auch die Büchse der Pandora geöffnet. Man würde neue Arzneimittel herstellen können, man könnte etwa speziell entwickelte Bakterien zur Herstellung von Insulin nutzen. Es könnte aber theoretisch auch passieren, dass im Labor versehentlich Krankheitserreger erzeugt würden, die keiner wieder einfangen könnte. Präsident Nixon hatte den „War on Cancer“ ausgerufen, einige Molekularbiologen experimentierten nicht mehr nur mit Escherichia coli, sondern mit komplexeren Organismen, mit tierischen Zellen und den Viren, die eine Rolle für sie spielten. Als Bergs Kollegen Stanley Cohen und Herb Boyer 1973 ebenfalls in Asilomar eine neue Methode des Klonierens von Genen auf Plasmidbasis vorstellten, waren ihre Kollegen schockiert und forderten in einem offenen Brief ein Moratorium.„Wer zum Teufel sind Sie?“„Dass Wissenschaftler öffentlich vor den Folgen ihrer eigenen Arbeit warnen, dass sie noch dazu ihre Kollegen zu einem Forschungsstopp aufrufen“, schreibt damals die F.A.Z., sei neu, aber richtig, denn „niemand kann voraussagen, ob nicht bei der Manipulation des Erbgutes von Bakterien und Viren infektiöse Organismen entstehen“ und „dass Fragmente des Erbmaterials von Viren, die bisher nur bei Tieren Krebs hervorrufen, auch für den Menschen gefährlich werden“. Schon vorher hatte ein junger Forscher, Robert Pollack, der am Cold Spring Harbor Laboratory auf Long Island forschte, Alarm geschlagen, nachdem er von Bergs Plan erfuhr, die gesamte DNA eines Affenvirus in das Darmbakterium Escherichia coli übertragen zu wollen. Das tumorauslösende Virus hatte bei Laborhamstern ein unkontrolliertes Zellwachstum verursacht, wie der Wissenschaftsjournalist Matthew Cobb in seinem grundlegenden Essay „Money and Murder: the Dark Side of the Asilomar Meeting“ schreibt. In den Laboren der Ostküste war man sprachlos, was die Kollegen an der Westküste vorhatten – nicht weniger, als den Bauplan der Natur komplett durcheinanderzubringen. Pollack habe Berg angerufen und gefragt, warum er nur ein derart wahnsinniges Experiment plane. Wie Pollack später berichtet, war das Gespräch kurz: Berg antwortete „Wer zum Teufel sind Sie?“ und legte auf.Dank Gentechnik bald ein reicher Mann: Herbert Boyer mit Paul Berg 1975 in Asilomar.GettyAllerdings hatte der Anruf etwas bewirkt. Es war unwahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, dass das Experiment außer Kontrolle geraten würde. Am Ende verzichtete Berg darauf. Doch es kamen immer mehr Fragen auf: War es unverantwortlich, auf Experimente zu verzichten, die der Menschheit neue Medikamente und einen Durchbruch im Kampf gegen Krebs bescheren könnten, wenn mit denen schwere Krankheiten, Hungerepidemien und damit verbundene Kriege und andere Folgeübel verhindert werden könnten? Oder war es unverantwortlich, diese Experimente durchzuführen, solange man nicht wusste, was entweichende veränderte Moleküle anrichten könnten, zumal die Möglichkeit bestand, aus ihnen tödliche Biowaffen zu bauen?Eine Frage der VerantwortungIst es unverantwortlich, etwas zu tun, wenn man die Konsequenzen nicht absehen kann? Bei der Kernspaltung war man nicht so zimperlich gewesen: „When you see something that is technically sweet, you go ahead and do it“, lautet eines der berühmtesten Bonmots des Physikers und Atombomben-Bauers Robert Oppenheimer, der damit eine Haltung auf den Punkt brachte, die der Menschheit einerseits Kernkraft und andererseits die Möglichkeit bescherte, sich selbst in sehr kurzer Zeit weitgehend auszulöschen. Man müsste einen Film drehen über die anderen Forscher, die das Gegenteil versuchten und die Notbremse zogen: Im Juli 1974 forderten Berg, Boyer, Cohen und ihre Kollegen, darunter auch James Watson, einer der Entdecker der DNA-Struktur, alle Experimente einzustellen, „bis die potentiellen Gefahren solcher rekombinanten DNA-Moleküle besser bewertet sind oder bis angemessene Methoden zur Verhinderung ihrer Verbreitung entwickelt wurden“. Zum ersten Mal schrieben Wissenschaftler ein Moratorium für ihre eigene Arbeit. Weil durch die Übertragung von Genmaterial in einen artfremden Organismus ein Zeitalter von unkontrollierbaren Bio-Zombies drohte?Hinter diesen Schindeln fand alles statt: Das Asilomar Conference Center in den kalifornischen Dünen bei Monterey heute.MauritiusBerg und seine Mitstreiter luden 150 Biologen, Juristen und Mediziner aus aller Welt, sogar Kollegen aus dem politisch verfeindeten Ostblock nach Asilomar ein, um dort Sicherheitskonzepte zu diskutieren, die möglichen Folgen gentechnisch veränderter Organismen und ihrer Verbreitung und ein mögliches Verbot riskanter Experimente am Erbgut zu beschließen. War Asilomar der erste und wichtigste Moment in der modernen Geschichte, in der die Menschheit beschloss, etwas nicht zu tun, was möglich war – weil es ihr Ende bedeuten könnte? Und wäre das Moratorium dieser Konferenz ein Vorbild für die heutigen Debatten um Künstliche Intelligenz und, damit zusammenhängend, den Stop autonomer Waffensysteme und der Vernetzung des menschlichen Gehirns mit den Datenschätzen des Internets, wie es Elon Musk mit seinem Projekt „Neuralink“ vorantreibt?So einfach ist es nicht. Auf den Fotos der Konferenz von Asilomar, die Ende Februar 1975 stattfand, sieht man Berg, einen Mann mit zupackendem Gesichtsausdruck und einem schief-charmanten Lächeln, mit seinen Kollegen, aber auch mit Vertretern von Behörden. Was nahelegt, dass es ihm und seiner Mitorganisatorin Maxine Singer nicht in erster Linie darum ging, gefährliche Experimente am Erbgut zu stoppen und so die Welt vor nicht mehr zu bremsenden Mutationen und potentiell tödlichen Viren zu retten – sondern durch eine kritische Selbstregulierung der Wissenschaft eine strengere Regulierung oder sogar ein Verbot der Forschung durch die Behörden abzuwenden. Es wurde bis in die Nacht diskutiert – und am Ende stand ein Moratorium, das den Verzicht auf einige besonders gefährliche Experimente forderte, aber die Herstellung von genmanipulierten Organismen unter erhöhten Sicherheitsstandards weiter vorsah.Asilomar als Paradebeispiel für heuteDieses „Moratorium von Asilomar“ wurde zur Blaupause für staatliche Biosicherheitsprotokolle und fürs Weitermachen bis an bestimmte Grenzen. Berühmt ist die Zusammenfassung von Gwladys Caspar, der Sicherheitsbeauftragten der Labore von Harvard: „Stufe 1: nicht essen. Stufe 2: nicht anfassen. Stufe 3: nicht einatmen. Stufe 4: nicht tun.“Asilomar gilt immer noch als Paradebeispiel dafür, wie eine wissenschaftliche Gemeinschaft sich verantwortlich selbst regulieren kann, und viele fordern heute angesichts der Entwicklungen in der Nanotechnologie und der synthetischen Biologie ein neues Asilomar. Aber wenn man genauer hinschaut, ist Asilomar vor allem ein Beispiel dafür, wie die Wissenschaft und die mit ihr verbündete Industrie versuchen, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, eine zunehmend kritische Öffentlichkeit und Politik zu besänftigen und deren Regulierungsbedarf zu bremsen – darin unterscheidet sich die damalige Situation nicht grundlegend von dem, was Elon Musk als oberster Deregulierer für seine eigenen Forscher und Unternehmen erreichen will: weitestmöglich freie Hand.Natürlich ging es damals wie heute um astronomische Summen von Geld, die sich mit der Biotechnologie verdienen ließen. Berg hatte 1975 erfahren, dass Stanford die Cohen-Boyer-Klontechnik patentieren lassen wollte. Wenn sich das herumgesprochen hätte, dann hätte der Versuch, das Moratorium von 1974 aufzuheben, ausgesehen, als seien die Wissenschaftler eingeknickt vor den Summen, die man mit Gentechnologie verdienen könnte.Dass es beim Kampf um die Freiheit der Forschung an den letzten Grenzen des Lebens auch um viel Geld ging, war allen in Asilomar klar. Ein Reporter vom „Rolling Stone“ beschrieb die Möglichkeit, Insulin in einem gentechnisch veränderten Mikroorganismus herzustellen, und stellte fest, dass in Asilomar auch Vertreter der Forschungsabteilungen der Arzneimittelhersteller Merck teilnehmen. Explizit nicht sprechen wollte man über die Gefahr von Biowaffen und über das, was passiert, wenn man Toxin-Gene in hochinfektiöse Bakterien einschleust und das Ergebnis über Feindesland abwirft. Ging es in den drei Tagen von Asilomar also wirklich darum, zum Wohl der Welt und zu ihrer Sicherheit zum ersten Mal bestimmte Forschung abzubrechen – oder war der Zweck der Konferenz, in einer politisch aufgekratzten Zeit Politik und Gesellschaft so zu beruhigen, dass man in Ruhe weiter forschen konnte, wie die Historikerin Soraya de Chadarevian 2010 bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften argumentierte? Was als Versuch begann, Gefahren einzudämmen, war auch der Beginn einer risikokapitalfinanzierten Biotech-Industrie, die heute Hunderte von Milliarden Dollar wert ist.Asilomar Konferenz, 1975Andrew Stern/National Academy of Sciences/Massachusetts Institute of TechnologyAllein Boyer und Cohen und ihre Forschungseinrichtungen verdienten mit ihrem Patent, das für 2000 Produkte eingesetzt wurde, 255 Millionen Dollar. Berg beklagte, dass Molekularbiologen sich seitdem nicht mehr offen austauschten, sondern wie Mitglieder von Geheimbünden benähmen. Das Moratorium wurde vor allem von der Biotech-Industrie schnell aufgeweicht. Paul Berg erklärte scharf: „Ehe überhaupt der Versuch gutgeheißen werden könnte, Menschen – wenn überhaupt, dann mit medizinischen Zielen – neu zu konstruieren, müssten Sicherheit und Effizienz der neuen Technologien geprüft und verstanden werden.“ Als er das sagte, hatte die chinesische Forscherin Luhan Yang bereits erfolgreich versucht, in Zellkulturen einen Defekt in einer Keimzelle zu löschen, indem sie in unreifen Eizellen ein tumorauslösendes Gen durch eine gesunde Variante ersetzte.Auch daraus könnte man lernenEin weiterer Schritt zum gentechnischen Menschendesign fand drei Jahre später im Geheimen in China statt: He Jiankui manipulierte 2018 das Genom von Embryonen, er will so die ersten genetisch veränderten menschlichen Babys geschaffen haben. In Shenzhen hatte er für HIV-infizierte Eltern In-vitro-Befruchtungen angeboten, wobei dem Genom der Embryonen mit der „Genschere“ CRISPR-Cas9 das CCR5-Gen herausgenommen wurde, um sie resistent gegen Aids zu machen. Ein Jahr später erhielt in Nashville erstmals eine Frau eine Infusion von Zellen, die vorher ihrem Blut entnommen und mit CRISPR-Cas9 verändert worden waren, um sie von der schmerzhaften Sichelzellenanämie zu heilen. Kritiker von Asilomar wie die Wissenschaftshistorikerin Susan Wright monieren, dass man damals die Diskussion auf technische Fragen beschränkte und ethische und soziale Fragen ignorierte: Wer hat Zugang zu, wer profitiert von Genmanipulation, wer wird durch sie benachteiligt – etwa die Bauern, die keinen manipulierten Mais anbauen wollen, oder Fischer, denen optimierte Zuchtlachse die natürlichen Populationen zerstören.Dass jede Technologie missbraucht werden kann, war Thema in Asilomar – und dennoch ahnte dort 1975 niemand, dass die russischen Teilnehmer, die Mikrobiologen Baev, Mirzabekov und Engelhardt, keineswegs, wie ein amerikanischer Teilnehmer meinte, „alte Kerle, die nichts wissen“, waren, sondern seit 1974 an einem sowjetischen Geheimprojekt zur Entwicklung von Biowaffen mit Pesterregern und rekombinanter DNA arbeiteten. Auch daraus könnte man lernen.Wann immer Wissenschaft an problematische Grenzen stößt, trifft man sich seither in Asilomar. 2017 fand hier eine Konferenz zur Kontrollierbarkeit Künstlicher Intelligenz statt, vor ein paar Wochen, fast auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der Konferenz 1975, ging es bei einer Tagung um Spiegelorganismen: Vor allem in den Vereinigten Staaten wird zurzeit darüber diskutiert, künstliche Zellen zu schaffen, etwa Bakterien, die auf gespiegelten Molekülen basieren. Sie funktionieren wie ihre natürlichen Vorbilder, aber passen nicht mit den natürlichen Biomolekülen zusammen, weil ihre Architektur anders ist – so wie ein Schlüssel nicht in ein gespiegeltes Schloss passt. So könnte man künstliche Organismen erzeugen, die die Natur nicht bekämpfen oder unschädlich machen kann und die sich deswegen theoretisch rasend schnell und ungebremst vermehren können – was ein Vorteil sein kann oder fatal wie im Tierreich, wenn die heimische Fauna an invasiven Spezies zugrunde geht.Die Öffentlichkeit ist wie 1975 kaum interessiert; es dominieren die Debatten um Zölle, Ukraine und Kaufkraft. Aber wenn die Medien etwas von Asilomar 1975 lernen können, dann ist es, genauer hinzuschauen, was in den Laboren passiert, was erlaubt ist und was warum unterbunden werden soll. Denn nicht jeder Forscher, nicht jeder Geldgeber und nicht jeder machthungrige Potentat ist für Moratorien zu haben.
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